Kirgistan – du wunderschöne Unbekannte


Ich erinnere mich genau, wie ich mit einem Freund in Göttingen über meine Reisepläne gesprochen habe. Ich erzählte von den Stan-Ländern und hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde – ich wusste nur, dass diese Länder prominent mitten auf der Weltkarte platziert sind.

Nach meinem Abschied aus Aserbaidschan freue ich mich, in Kirgistan anzukommen. Mit einem „Herzlich Willkommen“ an der Grenze fühle ich mich sogleich wohl in diesem Land. Ein Land, in dem statistisch nur 28 Einwohner:innen auf einen Quadratkilometer leben // → Zum Vergleich: In Deutschland sind es 232 Einwohner:innen pro Quadratkilometer //. Ein Land, in dem sich 90 % der Landesfläche oberhalb von 1500 m befinden. Ein Land, in dem der zweitgrößte Gebirgssee der Erde liegt, der Yssik-Kul, dessen kühles, klares Wasser mich in solcher Reinheit umschließt // → Freiheit //. Mit Hilfe dieser Fakten kann man sich ein Bild erträumen: von unglaublichen Weiten, von einem in die Ferne schweifenden Blick – im Hintergrund ein Bergketten-Panorama, eine körperlich gefühlte Stille. Neben der atemberaubenden Landschaft ist es die atemberaubende Landschaft, die mich an Kirgistan so begeistert: meine Begeisterung zum Quadrat.

Mittwoch, 17. Juli. Ich bin zurückgekehrt zum Song-Kul, einem See auf 3016m Höhe. Hier finden die alljährlichen Pferdespiele Akmoor statt. In den nächsten zwei Tagen werden verschiedene Sportarten ausgeübt: Wrestling // → zwei Männer //, Pferdewrestling // → zwei Männer, zwei Pferde //, Polo // → zwei mal vier Männer plus jeweils ein Pferd und ein tote Ziege ohne Kopf //, Pferderennen // → jeweils ein Mann plus ein Pferd, auf vier oder acht Kilometer // und Kyz Kuumai, ein Mädchenfangspiel // → eine Frau, ein Mann plus jeweils ein Pferd //. Dabei wird das jeweilige Team angefeuert, mit alten Bekannt:innen und neuen Freund:innen geplaudert, auf Pferden geschaulauft, gegessen, z.B. Schaschlik, getrunken, z.B. Kumiz // → kirgisisches Nationalgetränk: vergorene Stutenmilch. Hmm: „Interesting!“ // oder Wodka. Die Kirgis:innen sind ein Nomadenvolk, und noch heute sind die Jurte und das Pferd eine wichtige Repräsentanz der kirgisischen Kultur. Am Song-Kul kann man dieses Lebensgefühl ziemlich gut nachempfinden. Die Geschichte und Kultur Kirgistans nachlesen, kann man in dem wunderbaren Buch Sowjetistan von Erika Flatland. Hier werden die historischen und kulturellen Hintergründe der Region mit Anekdoten eines Reiseberichtes gekonnt verwoben. Liest sich großartig, absolut empfehlenswert!

Song-Kul

Song-Kul

Zweisam: Mutter und Kind

Zweisam: Mutter und Kind

Kirgistan ist zudem das erste Land für mich, in dem ich als richtige Backpackerin reise: In Hostel-Mehrbettzimmern schlafen, andere Reisende treffen, Empfehlungen austauschen, zusammen Zeit verbringen. Das Schöne daran, die Reisenden sind keine homogene Gruppe: Es ist der Mittfünfziger aus Süddeutschland, der ein Sabbatical macht. Es ist die 22-Jährige Holländerin, die fünf Monate reisen wollte, und nun doch noch einmal verlängert, weil das Reisen sie glücklich macht. Es ist das französische Pärchen, ich schätze Mitte Zwanzig, und es ist das italienisch-deutsche Pärchen, ich schätze Anfang Dreißig, die ihren Job gekündigt haben, nun reisen, dann einmal schauen. Es sind viele weibliche Einzelreisende. Es sind Studierende, die ihre Semesterferien nutzen, zwei, drei Monate, um fortzusein. Es sind digitale Nomad:innen, die auch schon einmal eine Woche im Hostel bleiben, um zu arbeiten. Es sind Menschen, die lange gespart haben und sich nun einen Lebenstraum erfüllen. Und es bin ich.

Liebes Kirgistan, du wunderschöne Unbekannte – ich bin so froh, dich kennengelernt zu haben. Es war eine tolle Zeit und ich bin nachhaltig beeindruckt. So sehr, dass ich wiederkommen möchte, denn es gibt noch so viel zu sehen und zu erleben: Den Peak Lenin im Süden, die Walnusswälder in Arslanbob, eine Wanderung im Altyn Arashan, das Kunstmuseum in Bishkek, den Fairytale-Canyon am Yssik-kul, den Toktogul-See. Und-und-und.

Interesting!
Das Manas-Epos, das wichtigste Werk der kirgisischen Literatur, umfasst fast 500.000 Verse. Das ist zwanzigmal so lang wie Homers Ilias und die Odyssee zusammen. Bähm!

Zurück
Zurück

Auf den Spuren der Seidenstraße, Usbekistan