Peru – hintenrum ans andere Ende der Welt / landschaftlich atemberaubend


Teil 1

Nach 40 Stunden Reisezeit von Bangkok über Tokio und Toronto komme ich 4 Uhr morgens in Lima, Peru an und treffe an der Passkontrolle den nettesten Grenzbeamten der Welt, dicht gefolgt vom kirgisischen. Er lächelt, er ist freundlich, er heißt mich in seinem Land willkommen. Ein guter Start. Peru ist mein erstes südamerikanisches Land auf dieser Reise. Ich bin ein wenig aufgeregt: Ein neuer Kontinent, neue Spielregeln – die ich erst verstehen, lernen und dann befolgen muss. Trotz dem ich vor ein paar Jahren schon einmal in Südamerika – in Kolumbien – gewesen bin, bin ich mir nicht sicher, wie frei, i.S.v. wie individuell, ich mich hier bewegen kann. Ich habe Respekt – das ist nie verkehrt –, mit einer leichten Angstnote, doch Angst lähmt. Im Nachhinein betrachtet, glaube ich, dass ich in Vorbereitung zu viel gelesen habe. Zwar nicht die unsäglichen Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, die jedes Reisen zu einer Expedition in den Tod werden lassen, doch aber den Lonely Planet South America // → 14. Auflage, Oktober 2019 //. Dieser ist sehr bemüht die Reisenden vor etwaigen Gefahren zu warnen, für das Wohlbefinden ist das nicht sehr zuträglich. Nun gut, doch kommen wir erst einmal an – am anderen Ende der Welt.

Lima ist der Ausgangspunkt meiner Reise durch Peru. Eine Stadt, die auf mich ein bißchen wie aus der Zeit gefallen wirkt und so charmant dabei ist: Es gibt hunderte Schuhputzer auf den Straßen. / Man tummelt sich um einen der vielen Zeitungskioske. / Mann ruft mir Dinge zu, ich lächle freundlich, nichts verstehend, vielleicht ist das auch besser so. Die Menschen bewegen sich langsam – ich passe mich an. Um eine SIM-Karte im Telefonfachgeschäft zu erwerben, muss ich vier Stationen ablaufen. Zunächst erkläre ich in Brockenspanisch der Dame am Empfang mein Anliegen, sie gibt mir eine Nummer. Ich warte. Nachdem meine Nummer aufgerufen wird, erkläre ich dem Verkäufer mein Anliegen, er präsentiert mir verschiedene Optionen, ich wähle. Als nächstes werde ich angehalten, meine gewählte Option an der Kasse zu bezahlen. Ich reihe mich in die Schlange ein, und warte. Nach erfolgter Transaktion gehe ich zurück zu meinem Verkäufer, der nun mein Handy freischaltet. Ich habe erfolgreich eine SIM-Karte erworben.

Bevor ich aus der Hauptstadt gen Norden reise, um zu Weihnachten in Ecuador zu sein, mache ich zunächst einen kurzen Abstecher in den Süden, nach Paracas, und lerne etwas Großartiges kennen – die Küstenwüste // → Küstenwüsten sind ausschließlich an den Westseiten von Kontinenten zu finden. Verrückte Winde, z.B. Passat, treiben hier ihr Unwesen //. Ich stehe am Rand des Pazifischen Ozeans, den ich zum ersten Mal sehe, um mich herum der gelb-weiße Sand, der sich flirrend mit dem Himmel vereint. Der Horizont nurmehr ein Wort, das sich im Wörterbuch befindet. Es wird der Beginn einer landschaftlich einzigartigen Reise sein. Peru hat alles zu bieten: Den Ozean // → Pazifik //, die Berge // → Anden //, die Wüste // → Atacama //, den Dschungel // → Amazonas //, eine vielfältige Flora und Fauna // → Z.B. gilt Peru als das Land mit der größten Diversität an Vögeln weltweit. Über 1.800 Arten sind hier heimisch //. Ein persönliches Highlight: Die Humboldt-Pinguine, wie sie da einfach so rumstehen auf der Isla de la Ballesta.

Humboldt-Pinguine

Humboldt-Pinguine

Huaraz. Der Ort in den Anden, auf 3.052m Höhe, ist der Ausgangspunkt vieler Wandermöglichkeiten. Es wird geraten, sich zunächst ausreichend auf der Höhe zu akklimatisieren // → Vgl. Höhenkrankheit: Sauerstoffunterversorgung des Körpers durch die geringere Menge an Sauerstoff in der Luft //. Ich kann nicht verhindern, dass ich erkranke. Wenn auch heftig (schlimmste Kopfschmerzen, geschwächter Körper), doch zum Glück nur kurzfristig. Ich bin froh, dass ich vernunftbegabt bin und höre auf meinen Körper. Safety first! Ich entscheide mich, zwei Ausflüge per Bus zu machen, bei denen nur kurze Wanderungen vorgesehen sind. Der Schönheit der Natur tut dies keinen Abbruch: Es ist atemberaubend, hoch in den Anden.

Von den Bergen an die Küste – Trujillo und Huanchaco. Nach sehr langer Zeit mache ich wieder einmal einen Ausflug auf eigene Faust, ich fühle mich sicher und wohl. Mit dem Stadtbus geht es zu den Las Huacas del Sol y de la Luna der Moche-Kultur. Hier habe ich das Glück den englischsprachigen Guide, dessen Führung im Ticketpreis inbegriffen ist, ganz für mich zu haben. Er erzählt mir fantastische Geschichten aus vergangener Zeit: Die Moche lebten vom 1. bis zum 8. Jahrhundert an der Nordküste Perus. Vieles dieser Kultur ist bis heute nicht eindeutig wissenschaftlich erforscht – doch eines ist gewiss, dass der heilige Tempel alle hundert Jahre „neu" gebaut worden ist. Man mauerte den alten Tempel zu, und errichtete darauf einen größeren, derselben Gestalt.

Ausgrabungsstätte: Huaca de la Luna

Ausgrabungsstätte: Huaca de la Luna

In Chachapoyas begeistern mich die Menschen. Sie sind hilfsbereit und grüßen auf der Straße. Im Allgemeinen vermisse ich dies ein bißchen in Peru. Die Menschen sind nicht unfreundlich, aber auch nicht einladend. Seltsam unbeteiligt. Nach Kambodscha, einem Land, in dem ich mich so willkommen gefühlt habe, ist dies eine Umstellung mit negativem Beigeschmack. Auch kann ich mich mit den anderen Reisenden nicht besonders anfreunden. Vielleicht brauche ich aber auch etwas Ruhe nach intensiven, zwei letzten Monaten in Südostasien – wie immer gehe ich davon aus, dass es ein Wechselspiel ist. So bleibe ich meist allein, wandel auf meinen eigenen Pfaden.

Chiclayo. Geisterstadt. Staub. Surreal. Als mir im morgendlichen Sonnenschein auf dem Weg vom Nachtbus zum Hostel mitten auf der Straße, mitten unter Leuten, mein Handy direkt aus der Hand geklaut wird, weiß ich auch nicht mehr weiter. Ich fühle mich grundlegend in meiner Freiheit verletzt, ziehe mich zurück in mein Zimmer. Somnambulent schleicht sich der Klauer in meine Träume, und lässt mich machtlos zurück. Doch ich möchte nicht machtlos sein, habe die Stärke und finde innerhalb kürzester Zeit einen Weg, mir meine Freiheit zurück zu erkämpfen: Ich wage mich wieder auf die Straße. Fortan nehme ich mein Handy – ein neues, ich wieder im Telefonfachgeschäft – nur noch selten unterwegs mit, und wenn, dann nur ganz versteckt. Hah.

Über Piura verlasse ich Peru. Einstweilen. Doch ich werde noch einmal zurückkehren, um den Süden zu erkunden. Ich fühle mich ein wenig zwiegespalten in meiner Meinung über das Land, daher freue ich mich – mit ein bißchen Abstand – auf einen zweiten Eindruck.


Teil 2

Nach der furchtbarsten Flughafennacht, die ich je hatte – Flughafen Lima. Chaos. Kein Zugang zum Wartebereich mit Sitzplätzen, stattdessen Steinboden vor geöffneten Geschäften. Ich geselle mich zu den anderen Lungernden und finde tatsächlich etwas Schlaf. Jähes Ende: Ein Sicherheitsbeamter pfeift in seine Trillerpfeife um vier Uhr morgens. Selten habe ich mich so wenig menschlich gefühlt. –, komme ich in Cusco an. Schweren Herzens, doch überzeugt, entscheide ich mich, meinen Aufenthalt in Südperu auf diese Gegend zu beschränken. Die Reiseintensität der letzten Zeit fordert ihren Tribut, ich bin erschöpft und fühle, dass ich etwas Zeit und Kraft brauche, um die Schönheiten der Welt wieder genießen zu können.

Cusco, Plaza del Armas

Cusco, Plaza del Armas

Doch die Schönheiten dieser Welt, sie sind einfach da.

Zum Beispiel: Rainbow Mountain // → „Die Farben sind durch überlagerte Mineralien, die sich Jahrmillionen hier ablagerten, entstanden. Diese Sedimentschichten wurden durch Plattentektonik von einer waagrechten in eine fast senkrechte Position gedrückt. Das Eisenoxid führte zur rötlichen Färbung, Mangan zu den Pinktönen, das Gelb kommt vom Schwefel und die Reaktion von Kupfer, Wasser und Sauerstoff führte zur blaugrünen Verfärbung. Die schwarzen Streifen erklären sich durch Granit.“* //. Ich kämpfe langsam und erfolgreich mit der Höhe – jetzt schon langsam Profi – und genieße die Aussicht auf 5.036m.

Zum Beispiel: Machu Picchu // → Die Stätte wurde im 15. Jahrhundert von den Inka erbaut. Die Bedeutung der Anlage ist bis heute wissenschaftlich nicht eindeutig erforscht und so ranken sich verschiedene Theorien um eine Anerkennung: ein spiritueller Ort, eine Zufluchtsstätte vor den Spaniern, eine Stadtanlage für bis zu 1.000 Menschen //. Anfänglich bin ich ob eines Besuches nicht sehr euphorisch. Der Rechercheaufwand für die Reiseorganisation ist enorm, die Kosten sprengen meine Reisekasse und ich habe die Befürchtung, dass, obwohl es ein schöner Ort ist – von etwas anderem gehe ich nie aus –, die Tourist:innenströme jegliche Atmosphäre dunkel einfärben. Zugunsten: Ich treffe die wenig romantische Entscheidung auf der Grundlage „wenn ich schon einmal hier bin …“ und ich werde nie froher sein, mich so entschieden zu haben. Denn, die in den Anden verborgene Inka-Stadt ist ein magischer Ort.

Mein Tag startet um 5 Uhr morgens, regnerisch. Ich kaufe mir einen lilafarbenen Regenponcho und reihe mich ein in die bunte Regenponchomenge. Ab 7 Uhr darf ich mit meinem Eintrittsticket auf das Gelände, ich habe zusätzlich ein Ticket für die Besteigung des Machu Picchu Mountain erworben und so mache ich mich zunächst auf den Weg bergauf – beobachte die Stadt aus unterschiedlichen Blickwinkeln, verirre meine Gedanken in den Bergen, beobachte die verschiedenen Wolkenformationen, die der nachlassende Regen zurückgelassen hat. Mein Weg ist wenig bewandert. Ich bin ganz bei mir, ganz in der Natur. Es ist ein wahrlich spiritueller Moment, den ich – 6 Stunden – auskoste.

Farbkleckse im Regengrau

Farbkleckse im Regengrau

Doch ein Besuch von Machu Picchu ist nicht unumstritten: 2017 besuchten 1,4 Millionen Menschen die Stätte, das sind knapp 4.000 Besucher:innen täglich. Die UNESCO schlägt Alarm! Und fordert täglich nur 800 Besucher:innen einzulassen, um möglichen Folgeschäden vorzubeugen. Aktuell dürfen pro Tag 2.500 Menschen auf das Gelände.

Am Abend fahre ich zurück nach Cusco. Ich treffe mich mit Mauritius aus Mexiko, mit dem ich am Abend zuvor in Aguas Caliente, dem Übernachtungsort nahe Machu Picchu, meinen ersten Pisco Sour getrunken habe. Wir gehen aus, mit uns Orlando aus Trujillo, Peru. In jeglicher Hinsicht, ich fühle mich versöhnt.


Teil 3

Da ich noch immer müde ob der Reiseintensität und der damit verbundenen Eindrücke bin, beschließe ich auf Pause zu drücken. Kurzerhand entscheide ich mich nach meinem Aufenthalt in Bolivien noch einmal nach Cusco, Peru zurückzukehren. Ich bin mit Orlando verabredet. Ich plane etwa vier, fünf Tage zu bleiben – es werden drei Wochen // → Peru ist somit das Land mit der höchsten Rückkehrquote und der längsten Aufenthaltsdauer: 49 Tage verbringe ich insgesamt hier //, es sind perfekte drei Wochen. Entschleunigt.

Tagsüber: Ich schlafe lange, wandle durch die Gassen der Stadt, vor allem im Stadtteil San Blas. Ich schreibe meine Texte über Ecuador und Peru II, sortiere Photos. Ich besuche die Märkte, esse leckeres Obst // → Zum Beispiel: Granadilla. So gut // und zum Mittag ein Tagesmenü, bestehend aus einer Vorsuppe, einer Hauptspeise und einem Getränk für fünf Soles // → ein Euro fünfzig //. Ich beobachte die Menschen, tauche ein in ihre Welt. Eine Wanderung in die Umgebung der Stadt zu den heiligen Stätten der Inkas Temple of the Monkeys und Temple of the Moon bringt mich zurück in die Natur, mit bester Aussicht über Cusco.

Ein Herz aus Stein, umarmt. Hier: Temple of the Monkeys

Des Nachts: Wir wandeln durch die schummrigen Gassen der Stadt. Wir spielen Billard, treffen Freunde und lassen uns treiben. Wir gehen aus, zwei Bars und ein Club sind unser Zuhause. Wir tanzen, tanzen durch die Nacht – zu elektronischer, zu lateinamerikanischer Musik. Es sind die immer gleichen Rhythmen, die sich auf meiner imaginären Chango-Playlist wiederfinden – ein wohltuender, wiederkehrender Gleichklang.

This is the night!

This is the night!

Drei Wochen. Ich verliebe mich in Cusco und in die Menschen, ich fühle mich geborgen und frei. In diesem Augenblick bin ich keine Touristin, ich bin ein Teil der Stadt, mit bekannten Wegen und – ¿Que pasa, amigo? – bekannten Gesichtern. Doch die Zeit verrinnt im tickenden Takt, wie feinkörniger, warmer Sand in meinen Händen. Ich möchte so unbedingt nicht Abschied nehmen, doch ich muss – es sind nur noch vier Tage und fast 3.000 km bis mein Flug von Santiago de Chile, über Madrid nach Berlin geht. ¡Hasta pronto, Perú!

Interesting!
In Peru leben ca. 3,5 Millionen Alpakas und damit ca. 80% des weltweiten Bestandes. Beinahe wäre die Art ausgestorben, da sich die Spanier bei der Eroberung für das fremdländische Tier nicht interessierten und nur ihre mitgebrachte Schafzucht förderten. Die Alpaka-Faser ist im Vergleich zur Schafwolle wärmer und feiner.

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* Wikipedia. Aufgerufen am: 29.01.2020 unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Vinicunca.

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Ecuador – unübertroffen freundlich